Christian Kreuzberger

Textfelder zu Freud und Lacan

Hundeliebe

Nach schwerem Leiden ist der Hund verstorben. Der Tierarzt konnte ihn nur mehr einschläfern. Zu stark war der Knochenkrebs fortgeschritten, ein Schicksal, das Rassehunden wie diesem in den Körper geschrieben ist.

Der Schicksalsschlag war für das Hundebesitzerpaar derart massiv, dass die Frau und der Mann abwechselnd und dann wieder gemeinsam weinten, stundenlang, über Tage hinweg, die Tränen trockneten nicht und zeichneten das Gesicht.

Zwei Wochen später ist der neue Hund da, ein rassegleicher, der dem alten Hund Gesellschaft leisten, aber auch von dessen Lebenserfahrung hätte lernen sollen. Jetzt ist es leider zu spät, der Plan der Hundebesitzer ist nicht aufgegangen. Wie soll man gegen die Natur auch planen können? Anstatt eines gleitenden Überganges ist also ein Neuanfang zu setzen, ein Neustart mit einem neuen Hund.

Stolz wird der neue Hund präsentiert. Ja, er ist süß, doch graben sich Nachdenklichkeitsfalten in die Stirn der Besitzerin, denn hinter ihrer Stirn lassen sich die Vergleiche und Vermessungen zwischen Alt- und Neuhund nicht abstellen. Unablässig erheben sich Bedenken angesichts der Erscheinung und der Bewegung des neuen Hundes. Seine Schnauze ist im Vergleich zum alten Hund zu spitz, seine drolligen Hinterbeine geben das Bild einer eindeutigen O-Beinigkeit ab, sein lauf ist nicht geradeaus, sondern seltsam ins Schräge verdreht, da wird man wohl oder übel den Tierarzt konsultieren müssen, womöglich hat der Rassehund gar keine Rasse, zumal er der jüngste und vielleicht auch schwächste des Wurfs der Rassemutter ist. Der Mann beruhigt sich und sagt, er mag ihn auch so, so wie er ist, und hebt ihn unter den Achseln der Vorderbeine hoch zu sich, spricht ihm zu wie einem Säugling und lässt sich von ihm das Gesicht schlecken. Freilich, als der Hund, wieder am Boden, sich von ihm forttrollt, ruft er ihn beim Namen des alten Hundes zurück und muss, darauf aufmerksam gemacht, beiseite gehen, um zu weinen.

Der Name des neuen Hundes ist MERLIN. Da schwingt etwas Märchenhaftes und etwas von einem Zauberer mit. Doch der Hundebesitzer verbindet mit diesem Namen den Motor des englischen Kampffliegers „supermarine spitfire“, ein Wunderwerk, eine Wunderwaffe des zweiten Weltkrieges, die jedem deutschen Kampflugzeug haushoch, ja lufthoch überlegen war, dank ebendieses Motors „rolls-royce merlin“. Die historische Patenschaft für den neuen Hundenamen ist nicht weiter verwunderlich, diente der Hundeherr doch im englischen Militär, als ein sehr ranghoher Befehlshaber, der seine Befehlhaberei bis heute pflegt.

Er ist unser Kind, und während die Hundeherrin Merlin streichelt, muss sie weinen, weil sie an den alten Hund denken muss, der auch ihr Kind war. Sie gibt dem Hund alles, feinste Nahrung, ihre besten Kleidungsstücke, ihre Zeit, ihre ganze Liebe. Das Hundhalterpaar teilt sich den Schlaf, um bei dem kleinen Hund Nachtwache zu halten, abwechselnd schläft der eine, dann die andere auf einem extra dafür besorgten Feldbett neben dem neuen Hund, schließlich muss dieser ans Gassi gehen gewöhnt werden. Das heißt: MERLIN muss lernen.

Das Hauptkommando bei der Erziehung hat schon beim alten Hund der ehemalige Kommandant innegehabt. Und er hat diese Aufgabe hervorragend erfüllt. Das Benehmen des alten Hundes galt für jeden und überall als vorbildlich. Viele Menschenkinder hätten sich da etwas abschauen können. So auch die Frau des Hundeherrn, die den gesetzten Regeln der Hundehaltung oft zuwidergehandelt hat, sprich: den alten Hund regelrecht verwöhnt hat. Beim neuen Hund wird sie die Erziehungsarbeit ihres Mannes nicht zunichtemachen, das ist ihr fester Vorsatz. MERLIN lernt schon: an der kurzen Leine gehen, gehen bei Fuß, Sitz! und Platz!, Such und hol den Ball! und vieles mehr. Und damit MERLINS Benehmen gegenüber anderen Hunden absehbar und überschaubar bleibt, wird er, sobald es tiermedizinisch vertretbar ist, kastriert werden. Er soll lieb sein, lieb bleiben, vorbildlich sein.

Unser Hund ist unser Kind. Wir lieben unseren Hund wie unser Kind. Er gehört zu uns. So die Beteuerungen der Frau. Hundehaltermenschen halten sich, wie der Name sagt, einen Hund. Die Gründe dafür sind vielfältig. In jedem Fall aber halten sie sich den Hund, um sich an ihm anzuhalten zu können. Nicht selten richten sie sich an ihrem Hund auf und vergewissern sich an ihrem Hund ihrer selbst. 

„Ich bin ich, weil mein kleiner Hund mich kennt.“ Das sagt die Dichterin Gertrude Stein. In diesem Satz setzt die Aussage zwischen den Begriffen „Hund“ und „Ich“ eine Differenz. Dort der Hund, hier das Ich. Der Hundehaltermensch lässt dem Hund sein Recht.

„Wir lieben unseren Hund wie unser Kind.“  In diesem Satz löscht die Aussage die Differenz zwischen den Begriffen „Hund“ und „Ich“ aus. Der Hundehaltermensch vereinnahmt seinen Hund und definiert dessen Hundeleben auf egoistische Weise um. MERLIN wird den Fesseln der Menschenliebe sein Hundeleben lang nicht entkommen können. „Armer Hund!“

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